Das Wunder der ganzheitlichen Betrachtungsweise
Wenn, wie oft gesagt wird, ein anderer etwas getan habe, was einen Schmerz in mir ausgelöst hat, so ist diese Betrachtungsweise unvollständig und führt zu einem falschen Ergebnis.
Auch wenn man bereits in der Sicht ist, dass es ein alter Schmerz ist, der wieder hochkommt und nun noch einmal gefühlt werden will, anstatt von einer Verletzung durch den anderen zu sprechen, so ist hier immer noch nicht die Ganzheit erkannt, die diese Situation in sich trägt.
Es ist nämlich viel mehr so, dass wir den alten Schmerz integrieren müssen in unser Sein, anstatt ihn endlich loszuwerden. Wenn wir solch eine Verletzung aus der Kindheit haben, bringt es uns überhaupt nichts, den Schmerz loszuwerden. Denn er ist längst ein Teil von uns geworden. Und zwar ein positiver, ein guter.
Denn hast du schon mal beobachtet, wie sich das Verhältnis zwischen Kindheitserlebnis und heutigem Wiedererleben völlig ungleich entwickelt hat? Dass wir sicher schon hundert mal die Situation und die erdachte Erlösung durchgespielt haben und die Erinnerung an die Kindheit eine einzige kleine Situation war? Wie kommt das? Diese Frage sollten wir uns stellen. Denn hier liegt ein wesentlicher Fehler in unserer Betrachtungsweise vor.
Die wahre Betrachtung bringt uns nämlich vollkommene Erlösung, ohne auch nur im Geringsten den damaligen Schmerz auszublenden. Denn er wird integriert. Assimiliert, wie die Borg sagen würden. Und damit bekommt es Stärke.
Betrachten wir die gesamte Inszenierung einer solchen Schmerzerinnerung, so dürfen wir nicht vergessen, dass zum Gelingen der Verletzung auch wir selber beitragen, nicht nur der andere. Wir selbst sind also Akteur bei dieser Schmerzerinnerung. Durch diese Betrachtungsweise werden wir uns selbst nämlich als vollwertigen Erwachsenen wahrnehmen. Es sind also zwei, die diese Szene herstellen. Der andere und wir. Und wir beide müssen unser Spiel gut spielen, damit sich der Schmerz zeigen kann. Dadurch verlieren wir unsere Passivität und kommen aus dem Opfer heraus, denn wir sind beide Täter.
Als nächstes ist es ein Fehler, den Schmerz loswerden zu wollen. Viel eher sollten wir den Schmerz begrüßen wie einen geliebten Freund. Ihn willkommen heißen und ihm nichts böses wollen.
Wir dürfen lernen, dass wir das Emotionsloch aus der Kindheit nicht stopfen können. Es wird uns ein Leben lang begleiten. Nur wird es an Dramatik verlieren, wenn wir ihn endlich integrieren. Denn, auch wenn die Situation damals noch so schrecklich war, wir haben sie nicht nur überlebt, wir haben sogar noch Erfahrung und Erkenntnis daraus gezogen. Wir sind durch die Verletzung in der Kindheit ein anderer geworden. Eben der, der wir heute sind.
Unsere Dankbarkeit gilt dieser damaligen Situation und nicht dem loswerden wollen. Diese Verletzung ist ein Teil von uns geworden.
Zum einen haben wir also erkannt, dass wir Teil der Schmerzerinnerung sind und zum weiteren dass die damalige Situation ein Teil unseres Selbst ist und dass wir dies positiv sehen können. Wir haben überlebt und unsere Erfahrungen mitgenommen.
Es geht nicht darum, dass wir Verletzungen nun begrüßen sollten, es geht um die Sichtweise im weiteren Verlauf des Lebens. Wir brauchen uns nicht in der Opferhaltung zu suhlen, sondern in der ganzheitlichen Selbstannahme. Wir können so jede Situation auflösen, die uns belastet. Wir brauchen die damaligen Erlebnisse nur zu integrieren, zu assimilieren.
Ein Selbstverantwortlicher Erwachsener kann so sämtliche negativ behaftete Erlebnisse positiv in sein Jetzt wandeln und in der ganzen Stärke seines Selbst leben.
Wir können also alle Erlebnisse der Vergangenheit heute positiv sehen und uns diese mit Dankbarkeit begrüßen. Denn bei allen Situationen sind wir aktiver Akteur gewesen. Die Schuldfrage stellt sich nicht mehr. Diese erweiterte Betrachtungsweise können wir auf alle traumatischen Erlebnisse anwenden, denn wir haben überlebt und unsere Erfahrungen gemacht.
Das Loch oder die Narbe, die sich damals bildete, macht uns aus, sind ein wesentlicher Bestandteil von uns geworden und somit in jeder Hinsicht positiv zu betrachten. Denn wenn wir in der Liebe bleiben wollen, ist alles an uns Liebe, auch die negativen Erlebnisse aus früherer Zeit.
Das Wunder, das nun geschehen kann, ist die vollkommene Selbstannahme. Und mit ihr folgen alle guten Energien und Kräfte, die wir immer schon innehatten.
Liebeskummer? Nein, nicht mehr. Wir waren Hauptakteur, damit dies Erlebnis erfahren werden konnte.
Enttäuschte Liebe? Mitnichten! Als Hauptakteur haben wir viel dazu beigetragen, endlich frei zu werden.
Missbrauch und Vergewaltigung? Alles Geschichte – wir haben überlebt und unsere Erfahrungen gemacht. Diese tragen wir in uns, können vorsorglich handeln und sind der Welt eine Bereicherung!